Experiment MONIMIR


Arm-, Augen- oder Kopfbewegungen sind, neurologisch gesehen, sehr komplizierte Vorgänge. Damit eine Bewegung flüssig ablaufen kann, muß das Gehirn ständig ankommende Informationen mit den hinausgehenden Befehlen vergleichen. Die Meldungen der peripheren Aufnehmer (Rezeptoren sind in Gelenkskapseln gelagert, Muskel- und Sehnenspindeln stellen feine Tastkörperchen dar und liefern ständig Informationen an das Zentralnervensystem) geben über die Stellung der Extremitäten, über die Muskel- und Sehnenspannung Aufschluß. Sie lassen erkennen, ob die nächste geplante Bewegung überhaupt möglich ist. In einem ständigen Rückkopplungsprozeß gehen vom Zentralnervensystem wiederum Befehle an die Peripherie, also zu Hand oder Auge.

Bewegungsvorgänge werden dadurch kompliziert, daß der Mensch Bewegungen nicht nur auf eine Art ausführt. Er bewegt sich entweder vorprogrammiert und rasch zu einem Ziel oder er folgt langsam einem von außen vorgegebenen Ablauf nach.

Forschungsziel

Die Schwerelosigkeit ändert die Meldungen der Sensorsysteme an das Gehirn, zusätzlich verringert sich speziell im Gleichgewichtsorgan aufgrund der fehlenden Erdanziehung der Informationsstrom dramatisch. Weil die muskuläre Aktivität kleiner ist, kommen auch von Muskeln, Gelenken und Bändern weniger Informationen. Auch die Haut meldet weniger ans Gehirn, da Fußsohlen und Gesäß kaum stimuliert werden, die Kleidung liegt fast nicht am Körper auf. Einzig Auge und Ohr sind ähnlich stark wie auf Erden beschäftigt. Bei den Anpassungsvorgängen dürften sie eine wichtige Kontrollfunktion haben, wenngleich auch z. B. für das Auge in der Schwerelosigkeit die Begriffe „oben“ oder „unten“ inhaltsleer geworden sind. Untersucht wurde der Einfluß der Schwerelosigkeit auf Haltungs- und Stellreflexe.

Generell ging es bei MONIMIR und den damit zusammenhängenden Experimenten COGIMIR, OPTOVERT und AUDIMIR darum, neuro-psychologische Untersuchungen stärker als bisher in die Raumfahrt einzubeziehen.

Funktionsweise, Meßprinzip

Der Kosmonaut hatte nach einem vorgegebenen Schema Kopf- und Armbewegungen auszuführen, die mit einem Videosystem aufgezeichnet und auf der Erde analysiert wurden. Drei Arten von Bewegungen (Arm, Augen, Kopf) wurden einzeln erfaßt und in ihrer Koordination auch untereinander verglichen. Ein rascher Blick, etwa nach der Bewegung des Armes, hat ja meist eine Kopfbewegung zur Folge. Diese Reflexe gehen vom Hirnstamm aus. Genau definierte optische und akustische Signale, denen der Kosmonaut folgen mußte, ermöglichten standardisierte Bewegungen bei allen Aufgabenstellungen. So wurde die Armbewegung des Kosmonauten mit Hilfe einer Infrarotpistole registriert. Er mußte auf einer mit Leuchtdioden bestückten Tafel jeweils die zu treffen versuchen, die (nach Zufallsprinzip vom Rechner DATAMIR gesteuert) im Moment aufleuchtete. Die Pistolenbewegung wurde durch das Infrarot-Kamerasystem erfaßt. Gleichzeitig konnte die Augenbewegung durch ein Elektrookulogramm gemessen werden.

Zwei Kameras registrierten die Kopfbewegungen. Und zwar verfolgten sie die Bewegungen von Infrarot-Leuchtdioden, die auf dem Experimentierhelm des Kosmonauten angebracht waren. Die Richtung des Helmes/Kopfes konnte durch eine Helmlampe, die einen Lichtstrahl auf die Leuchtdiodentafel projizierte, verfolgt werden.

Die akustischen Signale wurden über Kopfhörer in einem bestimmten Winkel in horizontaler Ebene vorgegeben. Der Kosmonaut versuchte die Richtung anzugeben.

Zur Untersuchung des Zusammenwirkens von Kurzzeitgedächtnis und Bewegung erlernte der Kosmonaut eine Bewegung und mußte anschließend versuchen, sie mit geschlossenen Augen zu wiederholen. Weil er dabei keine Kontrolle durch das Auge hatte, war er einzig auf die Information angewiesen, die er durch die Gelenksrezeptoren erhielt.

Der Kniesehnenreflex gab Aufschluß über den Aktivierungsgrad des sensomotorischen Systems. Er wurde mittels des bewährten Hammerschlags gemessen. Die Nackenreflexe in Muskeln und Gelenken der oberen Halswirbelsäule wurden mit Sensoren bestimmt. Sie zeigten die Stellung bzw. die Bewegung des Kopfes gegenüber dem Körper an. Bei schwerelosigkeitsbedingten Änderungen der Meldungen von der Halswirbelsäule können Störungen der Körpermotorik auftreten. Deshalb werden auch die Bewegungen der Halswirbelsäule erfaßt. Es konnten somit Meldungen aus dem Gehirnsystem mit Meldungen aus den übrigen Teilen des Körpers verglichen werden.

Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast

DATAMIR, AUDIMIR, OPTOVERT, MOTOMIR

Ergebnisse

Im ersten Teil der Untersuchungen „zielte“ der Kosmonaut auf einen akustischen Reiz, wobei die Bewegungscharakteristika der Augen, des Kopfes und des rechten Armes analysiert und verglichen wurden. Dabei bestätigte sich die Notwendigkeit adäquater Afferenzinformationen. Die Genauigkeit der ausgeführten Bewegung hing davon ab, wieviel geeignete Informationen von den Sensorsystemen an das Zentralnervensystem gesendet wurden, und zwar sowohl im Stadium der Programmierung als auch im Stadium der Ausführung.

In geschlossenem Zustand sind die Augen einzig und allein auf die Propriozeptoren angewiesen, die „körperinterne“ Informationen weitergeben, in diesem Fall also Meldungen der Augenmuskeln über die Stellung der Augen. Der propriozeptive Apparat der Augenmuskulatur kann die Genauigkeit der Bewegung nicht gewährleisten: Die Augen des Wissenschaftskosmonauten „überschossen“ ihr Ziel beträchtlich. Die Kopf- und Armbewegungen waren im Vergleich dazu viel genauer, wobei insbesondere die Kopfbewegungen nicht jene Präzision erreichten, mit der sie auf der Erde ausgeführt werden. Die Armbewegung wurde auch mit optischer Kontrolle durchgeführt, das Ergebnis änderte sich dadurch nicht. Die Verringerung der Genauigkeit der Bewegungen im Flug bestätigte die führende Rolle der Propriozeption in der Schwerelosigkeit.

Durch eine Analyse der Zielbewegungen auf optische Reize konnte MONIMIR erstmals in der Schwerelosigkeit die Adaptationsprozesse des vestibulo-okulären Systems, d.h. des Zusammenspiels von Gleichgewichtsorgan und Augen, quantitativ beschreiben. Die Experimentergebnisse zeigten, daß die Schwerelosigkeit zu einer Modifizierung der Regulationsmechanismen für schnelle Kopf- und Armbewegungen führt: Die erforderliche Genauigkeit der Bewegung wird durch eine beträchtliche Verlängerung der Bewegungsdauer erreicht.

Die Folgebewegungen von Kopf und Arm auf ein sich bewegendes Lichtsignal wurden wie unter Erdbedingungen sehr gleichmäßig und genau durchgeführt. Das gravitationsunabhängige optische System kompensiert offensichtlich die unzureichenden Informationen der übrigen Sensorsysteme. Adaptation wurde bei den vorprogrammierten Charakteristika von Bewegungen im Rahmen der Tests des motorischen Kurzzeitgedächtnisses beobachtet, jedoch nicht bei Bewegungen, die ohne optische Kontrolle ausgeführt werden.

Der Einfluß der Nackenpropriozeptoren bei Kopfrotation bzw. Kopfseitneigung führte im Gegensatz zu terrestrischen Bedingungen zu einer Veränderung der horizontalen Armbewegung, nämlich zu einer Verschiebung der Bewegungsbahn. Dies wurde als eine weitere Bestätigung für dos Aufreten von Körperschemastörungen während des Flugs gewertet.

Die Untersuchung der spinolen Reflexmechanismen mittels Reflexstimulator (Kniesehnenreflex) ergab eine Hyperreflexie mit einer ausgeprägten Senkung der Reizschwelle und einer Steigerung des Reflexes. Die Analyse der dreidimensionalen Bewegungsabläufe des Kopfes schließlich zeigte Änderungen der Biomechanik der Halswirbelsäule zu Beginn des Fluges mit darauffolgender Adaptation. Man kann annehmen, daß dies zu einer Änderung des Informationsstroms aus den Sensoren der oberen Halswirbelsäule führt und einen der möglichen Gründe für die Raumkrankheit darstellt.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Diagnostik und Behandlungskontrolle von Patienten in der Neurologie, Orthopädie, Unfallheilkunde, Sport- und Rehabilitationsmedizin
Anwendungsziele
  • Frühdiagnostik von Erkrankungen des Bewegungsapparates und Nervensystems
  • Kontrolle der Therapie und medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen
  • Effektivitätskontrolle von tonussenkenden Präparaten (Antispastika)
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck
  • Universitätsklinik für Neurologie, Messina
  • Universitätsklinik für Psychiatrie, Charite, Berlin
  • Institut für biomedizinische Probleme, Moskau
  • Universitätsklinik für Neurologie, Moskau
  • Universitätsklinik für Rehabilitation, Prag
Technische Daten

Die Apparatur MONIMIR bestand aus folgenden Einheiten

Elektrischer Prinzipschaltplan des Projekts MONIMIR. Grafik: BMBWK, Wien
Elektronikbox mit Kabeln

Diese Einheit wurde in die Zentraleinheit des Systems DATAMIR eingebaut, die Verbindungskabel zu DATAMIR MON4, MON5, MON6 fertig montiert geliefert.

Masse: 2,0 kg
Abmessungen: 251 mm x 142 mm x 129 mm
Leistungsaufnahme: 20 W
Aluminiumcontainer mit Zusatz- und Reservebauteilen
  • Operatorbox (OB MON) mit den Vorverstärkern für die elektro-physiologischen Signale
  • CCD – Videokamera KTB1
  • Befestigungsvorrichtung für für KTB1
  • CCD – Videokamera KTB2
  • Befestigungsvorrichtung für für KTB2
  • Helmaufsatz mit einer Zeigelampe und 5 Infrarotdiodenpaaren
  • Kopfhörer zur Befestigung des Helmaufsatzes am Kopf der Versuchsperson
  • Leuchtdiodenmatrix Elektronikbox (EB-Matrix MON)
  • Reservelampe Helm/Stab
  • Reservesicherungen
Masse: 7,6 kg
Abmessungen: 545 mm x 360 mm x 150 mm
Stoffhülle 1 mit Apparaturkomponenten
  • Zeigestab mit einer Zeigelampe und 5 Infrarotleuchtdioden
  • Reflexstimulator
  • Leuchtdiodenmatrix Lineal (4 Stück) mit je 7 Leuchtdioden
  • Leuchtdiodenmatrix Abdeckungen (4 Stück) zur Bildung eines farblich einheitlichen Matrixhintergrundes
Masse: 5,7 kg
Abmessungen: 535 mm x 240 mm x 190 mm
Stoffhülle 2 mit Apparaturkomponenten
  • Kabel MON1 (Verbindung Elektronikbox – Operatorbox)
  • Kabel MON2 (Verbindung Elektronikbox – Videokamera KTB1)
  • Kabel MON3 (Verbindung Elektronikbox – Videokamera KTB2)
  • Elektrodenkabel EMG
  • Elektrodenkabel EOG/EKG
  • Elektrodenkabel EMG für Reflexstimulation
  • Satz Elektroden (100 Stück)
  • Satz Reinigungstücher
  • Satz Fixiermanschetten für Elektrodenkabel (4 Stück)
  • Hemden MONIMIR/MOTOMIR
  • Gürtel zur Befestigung der Operatorbox an der Versuchsperson
  • Gurte zur Befestigung der Versuchsperson (3 Stück)
Masse: 5,1 kg
Abmessungen: 510 mm x 235 mm x 170 mm
Experimentatoren

Medizin:
o. Univ.-Prof. Dr. Franz Gerstenbrand (Institutsvorstand)
Univ.-Doz. Dr. Meinhard Berger (Projektverantwortlicher)
Dr. Armin Muigg
Dr. Lorenza Grill
Dr. Elisabeth Karamat
Dipl.-Ing. Mario Ostermann
alle: Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck

Technik:
Dipl.-Ing. Dr. Massud Mossaheb (Projektverantwortlicher)
Dr. Gerhard Holzmüller
Ing. Erwin Baldauf
alle: Fa. FDP, Fanak Data Processing Datenverarbeitung Ges.m.b.H., Wien

Subauftragnehmer:
o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Erwin Hochmair (Institutsvorstand)
Mag. Georg Steinwender
alle: Institut für Angewandte Physik der Universität Innsbruck
Ing. Walter Bumba
Ing. Christian Wieland
alle: Fa. Ing. Walter Bumba, Wien