Aus Untersuchungen an Astronauten und Versuchstieren ist bekannt, daß Allaufenthalte aber auch bloßer Bewegungsmangel zu Veränderungen in den Immunreaktionen führen. Das Gewicht von lymphatischen Organen verringert sich, Lymphozyten werden weniger aktiv und es wird weniger Interferon produziert. Diese Veränderungen könnten sich in erster Linie am genetischen Material zeigen. Manche Schäden können von bestimmten Enzymen in den Zellen erkannt und repariert werden. Werden sie nicht repariert, sind sie ein dauerndes Risiko für den Organismus und können zu Krebs oder erblichen Schäden führen.
Genetische Veränderungen können weiters zu Veränderungen des Immunsystems führen. Sie greifen sowohl in den Zellstoffwechsel wie auch die DNA-Bildung ein. Besonders gefährdet sind die Lymphozyten, die im Immunsystem eine zentrale Rolle spielen, die für das Auftreten von Spätschäden entscheidend sein könnte. Die Immunzellen sind in zweierlei Hinsicht betroffen. Erstens können sie selbst genetisch verändert werden, das möglicherweise eine Erhöhung der Infektionsrate auslöst, zweitens sind sie für den Schutz vor Tumorbildung und -wachstum zuständig.
Forschungsziel
Untersucht wurden die Auswirkungen des All-Aufenthalts auf genetisches Material. Dazu wurden vom Kosmonauten vor, während und nach dem Weltraumaufenthalt mehrere Blutproben angefertigt. Während des Flugs mußte diese Proben der Kosmonaut am eigenen Leib durchführen. Da für diese Untersuchungen ein möglichst rascher Transport nach der Rückkehr notwendig war wurde unter tatkräftiger Mithilfe der Österreichischen Botschaft in Moskau des Bundesministeriums für Landesverteidigung und der Austrian Airlines eine Luftbrücke Moskau-Wien organisiert.
Ergebnisse
In den Lymphozytensubpopulationen zeigten sich deutliche Veränderungen in der Zahl der natürlichen Killerzellen (NK-Zellen). Während alle anderen Subpopulationen (T-Zellen, Helfer-, Supressor- und B-Zellen) offensichtlich durch die Bedingungen des Raumfluges nicht verändert wurden, ging die Zahl der NK-Zellen deutlich zurück. Die Aktivierbarkeit der Lymphozyten ging schon vor dem Raumflug – wahrscheinlich unter dem EinfluB der Extrembedingungen des Trainings – deutlich zurück und erreichte nach dem Flug ein Minimum. Dieses Ergebnis beruht auf der Untersuchung der Interleukin-2-Rezeptor-Expression. Die Ausbildung dieses Rezeptors an der Zelloberfläche signalisiert sozusagen die Abwehrbereitschaft der Zelle. Die verminderte Stimulierbarkeit der peripheren Lymphozyten konnte auch an Hand der verminderten DNA-Syntheserate (Verdopplung der DNA vor der Zellteilung) verifiziert werden. Zwei Wochen nach der Landung wurden wieder Normalwerte registriert.
Bei den spontanen bzw. induzierten Schwesterchromatidaustauschen (SCE) konnte vor und nach dem Allaufenthalt keine signifikante Veränderung registriert werden. Interessanterweise wurde beim Reservekosmonauten zu eben jenem Zeitpunkt eine erhöhte SCE-Rate beobachtet, als die Stimulierbarkeit der Lymphozyten abnahm. SCE´s sind ein sehr sensitiver Indikator genotoxischer Effekte. Sie werden aber nicht durch alle, sondern nur durch sehr spezifische DNA-Modifikatoren ausgelöst. Man kann daher annehmen, daß der genotoxische Einfluß, der die erhöhte SCE-Rate beim Reservekosmonauten auslöste, sich von den Faktoren, die beim Raumflug wirksam werden, unterscheidet.
Im Chromatin des österreichischen Kosmonauten, d.h. in der im Zellkern vorhandenen genetischen Information, konnten im Vergleich zur Kontrollperson unmittelbar nach dem Flug geringfügige strukturelle Veränderungen beobachtet werden. Die verminderte Sedimentationsgeschwindigkeit der DNA weist auf ein vermehrtes Auftreten von DNA-Strangbrüchen hin. Eine erhöhte DNA-Reparatursynthese konnte nicht nachgewiesen werden.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Extrembedingungen des Raumfluges und des vorbereitenden Trainings zu einer Einschränkung der Immunfunktion des menschlichen Organismus führen, die sich in einem deutlichen Abfall der natürlichen Killerzellen und einer verminderten Interleukin-2-Rezeptor-Expression nach Stimulierung der Lymphozyten äußert. Weiters ist mit einer, wenn auch geringfügigen, genetischen Belastung zu rechnen, die sich nach einem so kurzen Raumflug aber nur mit sehr sensitiven Methoden nachweisen läßt und die durch weitere Untersuchungen abzuklären wäre.
Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
- Klinische Medizin
- Ambulante Untersuchung der Bevölkerung
Anwendungsziele
- Beurteilung des Gesundheitszustandes des Menschen in Hinblick auf berufliche Tätigkeiten, die mit chemischen und physikalischen Belastungen in Zusammenhang stehen
- Diagnostik von immunologischen und genetischen Störungen in der klinischen Praxis
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
- Toxikologische Institute in Österreich
- Arbeitsmedizinische Institute
- Allgemeine Unvallversicherungsanstalt, Wien
- Klinische Zentren
Technische Daten
Für das Experiment MIRGEN war im Vorfeld keine Entwicklung einer eigenen Apparatur notwendig.
Alle für die Blutabnahme nötigen medizinischen und technischen Mittel wurden verwendet, wie sie in jedem Labor zur Blutabnahme und -untersuchung vorhanden sind.
Experimentatoren
Dr. Helga Tuschl (Projektverantwortliche)
Rozika Kovac
Dr. Wolfgang Klein
Elisabeth Ott
alle: Österreichisches Forschungszentrum Seibersdorf Ges.m.b.H., Seibersdorf