Experiment BODYFLUIDS


Das Zirkulationssystem des Menschen, bestehend aus Herz, Kreislauf und Körperflüssigkeiten, ändert im schwerelosen Zustand funktionelle Eigenschaften von Blut- und Lymphgefäßen, von Herztätigkeit, Geweberäumen, Zentralnervensystem, autonomen Nerven- und Hormonsystemen.

Mit einer an Bord der Raumstation MIR befindliche LBNP-Anlage („lower body negative pressure“) ist es möglich, einen dosierten Unterdruck am Unterkörper zu erzeugen, und den Flüssigkeitsdruck in den Austauschgefäßen der Beine zu erhöhen und einen Flüssigkeitsaustritt in das Gewebe zu bewirken. Solche Prozesse laufen auch auf der Erde ab, wenn sich der Mensch in ruhiger aufrechter Körperlage befindet. LBNP-Anlagen werden nach längeren Aufenthalten im schwerelosen Raum zum Kreislaufraining vor der Rückkehr zur Erde eingesetzt.

Forschungsziel

Aus den Kapillaren und Venolen tritt während eines auftretenden Unterdrucks eine Flüssigkeit mit unbekannter Eiweißkonzentration aus. Je größer dabei die Eiweißkonzentration in der Gewebsflüssigkeit ist, umso geringer ist der „kolloidosmotische Effekt“, der dem Übertritt von Flüssigkeit in die Geweberäume entgegenwirkt. Dieser Mechanismus ist sowohl für die Ödementstehung als auch für die Gewebeaustrocknung von entscheidender Bedeutung. Bei Prozessen des Flüssigkeitsaustritts steigt auch der Umsatz an Lymphflüssigkeit. Die Lymphgefäße sind ein spezielles Drainagesystem, dessen Aufgabe es ist, den völlig normalen geringgradigen Verlust von Filtrat und Eiweiß ins Gewebe durch Rücktransport zum Blut zu kompensieren.

Neben dem Fragenkomplex, der die Verteilung und das Flüssigkeitsmuster des Blutes betrifft, sind auch die Strategien der hormonellen Anpassung interessant. In diesem Zusammenhang wurde die dynamische Reaktion auf einen reproduzierbaren Streßzustand untersucht.

Funktionsweise, Meßprinzip

Zur Untersuchung des menschlichen Zirkulationssystems sind präzise und reproduzierbare Reize notwendig. In der „Unterdruckhose“, der LBNP-Anlage an Bord der Raumstation, kann ein dosierten Unterdruck in den unteren Extremitäten erzeugt werden.

Das Meßgerät PROTEINOMETER konnte ohne Einstiche die Schallgeschwindigkeit des Blutes bestimmen, die direkt proportional zur Eiweißkonzentration ist. Die Massendichte des Blutes wird umso höher, je größer der Anteil an roten Blutkörperchen ist, und dementsprechend nimmt die Schallgeschwindigkeit zu. Die Veränderungen sind allerdings extrem klein.

Neben den Eiweißen wurden auch eine Reihe von Hormonen im Blutplasma des Kosmonauten bestimmt. Diese geben Auskunft über die Streßbelastung und über den Salz-Wasser-Austausch. Der Kosmonaut hatte sich mit dem Blutabnahmeset VENE mehrmals selbst Blut abgenommen, aus dem an Bord von MIR anschließend pro Vorgang etwa 5 ml Blutplasma gewonnen wurde, welches mit dem Kosmonauten für Untersuchungen zur Erde gebracht wurden. In einer Aktion, an der die österreichische Botschaft in Moskau und die AUA beteiligt waren, wurden die Plasmaproben nach der Landung auf schnellstem Weg zur Untersuchung nach Österreich gebracht.

Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast

MONIMIR

Ergebnisse

Interessante Daten über die Anpassung des Menschen an den Zustand der Schwerelosigkeit sowie die Rückanpassung an irdische Schwerkraftbedingungen konnten gesammelt werden. Die Ergebnisse ermöglichen es, den dynamischen Charakter der physikalisch-chemischen Bluteigenschaften und der Reaktionen des hormonellen Volumenregulationssystems auf die LBNP-Einwirkung (Lower Body Negative Pressure) in der Schwerelosigkeit und in der Frühphase nach dem Flug aufzuzeigen.

Franz Viehböck bei der Blutabnahme im Rahmen des Experiments BODYFLUIDS. Foto: BMBWK, Wien

Ein wichtiges Ergebnis des Experimentes betrifft die Messung der Schallgeschwindigkeit in Blut und Plasma, die zur Bestimmung der Eiweißkonzentration herangezogen wird. Der österreichische Kosmonaut hat sich drei Minuten nach Beginn der LBNP-Einwirkung und zwei Minuten nach seiner Beendigung Blut abgenommen. Die Referenzmessungen vor dem Flug hatten unter Einwirkung von LBNP eine Erhöhung der Schallgeschwindigkeit von 1,6 m/s im Blut und 1,2 m/s im Plasma ergeben, nach dem Flug betrugen diese Werte 4,0 m/s im Blut und nahmen um 1,7 m/s im Plasma zu. Der Testbefund an Bord der Raumstation: Die Schallgeschwindigkeit ist weder im Plasma noch im Blut erhöht. In der frühen Readaptationsphase an die Schwerelosigkeit ist sie hingegen höher als vor dem Flug. Das Ausbleiben der Veränderung der Schallgeschwindigkeit im Flug ist ein unerwartetes Ergebnis und wird durch jüngste Ergebnisse über Impedanzänderungen am Bein während LBNP-Einwirkung indirekt bestätigt (Deutsche MIR-Mission 1992).

Die hormonellen Anpassungsvorgänge waren zum Teil gegenüber den Referenzuntersuchungen verändert. Die Experimentatoren von BODYFLUIDS interessierten sich in erster Linie für jene Hormone, die die Regulation des Flüssigkeitshaushalts und des Blutvolumens beeinflussen oder Aussagen über den allgemeinen Belastungsgrad des Probanden ermöglichen. Das überraschendste Ergebnis: Die Anregung des natriuretischen Peptids ANP unter LBNP am sechsten Tag in der Schwerelosigkeit. Während des Fluges war der Absolutwert des antidiuretischen Hormons Vasopressin fünfmal höher als unter irdischen Laborbedingungen vor dem Flug. Dieser Befund ist ebenfalls bemerkenswert, obwohl schon bei einem früheren Flug ähnliche Erhöhungen des AVP beobachtet wurden.

Franz Viehböck mit dem Gerät PROTEINOMETER an Bord von MIR. Foto: BMBWK, Wien

Die Sekretionsdynamik von Hormonen und ihre Fähigkeit zur raschen Konzentrationsänderung in Abhängigkeit von der Belastung des Probanden, des Hydrationszustandes, der Ernährung, verschiedener Umweltbedingungen u.a. ist bekannt. Daher wurde auf die Normierung der letztgenannten Faktoren besonderer Wert gelegt. Die Untersuchungen ergänzen bereits vorhandene Information über den Mechanismus der hormonellen Anpassung an die Schwerelosigkeit, werfen aber auch neue Fragen auf.

Es hat sich gezeigt, daß das gewählte LBNP-Protokoll und die Flugbedingungen für den Kosmonauten keinen starken Streßfaktor darstellten, der das sympathikoadrenerge System aktiviert hätte. Gleichzeitig wurden beim LBNP-Test ein Anstieg des Streßhormons Adrenalin und Anzeichen für eine erhöhte Reaktivität des Mineralkortikoidsystems während des Fluges festgestellt.

Gewöhnlich haben Raumfahrer nach ihrer Rückkehr zur Erde Schwierigkeiten mit der aufrechten Körperhaltung. Dieses als orthostatische Labilität bezeichnete Phänomen ist allgemein bekannt. Mit Hilfe des dynamischen LBNP-Tests, der hohe Konzentrationen an Aldosteron, Noradrenalin und Kortisol, eine ausgeprägte Hämokonzentration sowie eine starke Reaktion der Plasma-Reninaktivität zeigte, konnte gezeigt werden, daß dieser Zustand auch am vierten Tag nach dem Flug noch andauert.

Das Flugexperiment BODYFLUIDS hat zahlreiche neue und vor allem unerwartete Ergebnisse gebracht, die für das Verständnis der Physiologie des Menschen große Bedeutung haben.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Klinische und experimentelle Medizin und Physiologie
Anwendungsziele
  • Diagnostik von Abweichungen im Salz- Wasserhaushalt
  • Hormonelle Kreislaufuntersuchung mit spezifischen Belastungstests
  • Berechnung der Dynamik der Blut- und Plasmadichte des Menschen in Norm und Pathologie
  • Entwicklung nichtmedikamentöser Behandlungsverfahren für Patienten mit Kreislaufstörungen
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Physiologisches Institut, Universität Graz
  • Institut für biomedizinische Probleme, Moskau
  • Institut für experimentelle Endokrinologie, Bratislava, CSFR
  • „J.A. Gagarin“ – Kosmonautenausbildungszentrum (KAZ) in Svjosdnyj Gorodok bei Moskau
Technische Daten

Für das Experiment BODYFLUIDS wurden das Gerät PROTEINOMETER und das Blutabnahmeset VENE benötigt.

Gerät PROTEINOMETER

Das Gerät PROTEINOMETER ermöglichte die Bestimmung des Eiweißgehaltes im Vollblut und im Plasma durch die Messung folgender Parameter:

  • Schall-Laufzeit durch die Biomaterialprobe (0 – 400 µs)
  • Temperatur der Biomaterialprobe (10 – 40 °C)
Das Gerät PROTEINOMETER. Foto: BMBWK, Wien

Die Energieversorgung des Gerätes erfolgte autonom durch einen Batteriesatz mit einer Spannung von 9V.

Bedienungselemente:

  • Netzschalter
  • Starttaste für Blutmessung
  • Starttaste für Blasmamessung
  • Anzeigenelemente:
  • LCD-Display
Masse: max. 1,4 kg
Abmessungen: 200 mm x 175 mm x 75 mm
Blutabnahmeset VENE

Das Blutabnahmeset beinhaltet folgende Verbrauchsmaterialien zur intravenösen Blutabnahme und ist in einem Lederfutteral verpackt:

Das Blutabnahmeset VENE. Foto: BMBWK, Wien
  • Spritzen verschiedener Größen (22 Stück)
  • Eprouvetten verschiedener Größen (24 Stück)
  • Butterfly-Kanülen (8 Stück)
  • Kompressionsbinden (2 Stück)
  • Tupfer (8 Stück)
  • Desinfektionstupfer (4 Stück)
  • Leukoplast (4 Stück)
  • Klebeband
  • Abfallsack
  • Schlauchklemme
Masse: max. 1,2 kg
Abmessungen: 300 mm x 255 mm x 100 mm
Experimentatoren

o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Kenner (Institutsvorstand)
Univ.-Prof. Dr. Helmut Hinghofer-Szalkay (Projektverantwortlicher)
Dr. Eva Maria König
Dr. Gabriele Sauseng-Fellegger
alle: Physiologisches Institut der Universität Graz

Subauftragnehmer:
Dr. Hans Stabinger
Ing. Johann Schmied
Dipl.-Ing. Dr. Helmut Heimel
alle: Labor für Meßtechnik, Graz
o. Univ.-Prof. Dr. Hans Leopold (Institutsvorstand)
C. Zambo-Polz
alle: Institut für Elektronik, Technische Universität Graz