Das Institut für Angewandte Systemtechnik (IAS) der Forschungsgesellschaft Joanneum Research m.b.H., Graz, hatte im Auftrag der ESA ein neuartiges Satelliten-Videokonferenzsystem im Rahmen des Projekts DICE (Direct Inter-Establishment Communications Experiment) entwickelt, das gegenüber konventionellen Einrichtungen eine Vielzahl von Neuerungen und Vorteilen aufweist. Der wesentlichste ist die Fähigkeit, bis zu vier Stationen können über Satellit gleichzeitig miteinander verbunden werden, wobei alle Konferenzteilnehmer ständigen visuellen und akustischen Kontakt haben. Mit Hilfe von Computer-Zusatzeinrichtungen zur Dokumentübermittlung werden nahezu alle Kommunikationsmöglichkeiten wie bei herkömmlichen Besprechungen geschaffen, bei denen alle Teilnehmer am selben Ort konferieren. Besonderer Wert wurde auf vollautomatischen Betrieb gelegt, damit die Konferenzteilnehmer ohne besonderes Training sofort die elektronischen Kommunikationsmittel nutzen können. Somit besteht die Möglichkeit, Besprechungen kurzfristig abzuhalten, ohne daß die Konferenzteilnehmer kosten- und zeitintensive Reisen unternehmen müssen.
Die Verwendung von Nachrichtensatelliten erlaubt eine flexible Nutzung des Kommunikationsmediums. Große Distanzen können mühelos überbrückt werden. Transportable Bodenstationen sind innerhalb weniger Stunden aufgestellt und betriebsbereit.
Während der Vorbereitungen zur Mission AUSTROMIR-91 wurde eine Installation zur permanenten Videokonferenzschaltung zwischen Moskau, Wien und Graz über Satellit vorgeschlagen und als Projekt angenommen. Nach entsprechenden Adaptierungen ermöglichte diese Einrichtung dem österreichischen Projektmanagement und den Experimentatoren Live-Pressekonferenzen mit den Journalisten und der interessierten Öffentlichkeit in Österreich. Im Informationszentrum in Graz konnte man direkt mit den Kosmonauten optisch und akustisch in Verbindung treten.
Installation der Anlage
Die Videokonferenzeinrichtung mit einer Satellitenbodenstation wurde vom IAS im Flugleitzentrum ZUP in Kaliningrad in der Nähe Moskaus installiert. Über das Funksystem des ZUP konnte durch die Verwendung von zusätzlicher Einrichtung zur Anpassung der unterschiedlichen Fernsehnormen eine Verbindung mit der Raumstation hergestellt werden.
In Graz befand sich das AUSTROMIR-Informationszentrum in den Räumen der Technischen Universität Graz (Inffeldgasse 12), das mit einer eigenen Satellitenbodenstation und dem Videokonferenzsystem DICE ausgerüstet war.
Das Wiener Pressehauptquartier befand sich im Technischen Museum und wurde vom IAS mit einem Videokonferenzsystem ausgestattet. Eine transportable Erdefunkstelle wurde entgegenkommenderweise von der Österreichischen Fernmeldeverwaltung bereitgestellt.
In Zusammenarbeit mit der ESA waren Videokonferenzen mit dem Technologiezentrum ESTEC in Noordwijk, Holland und dem TELECOM-91-Ausstellungsstand in Genf vorgesehen. In Genf und Noordwijk waren Grazer Videokonferenzeinrichtungen und Bodenstationen der Europäischen Weltraumorganisation ESA installiert.
Funktionsweise
Das System besteht aus zwei Teilen: den Konferenzeinrichtungen und einer Satellitenbodenstation, die z.B. am Dach eines Gebäudes installiert werden kann.
Die Video- und Audioeinrichtungen sind in fahrbaren kompakten Einheiten untergebracht, die sehr einfach in jedem Raum (Büro, Besprechungszimmer oder Hörsaal) ohne besondere akustische oder lichttechnische Vorkehrungen eingesetzt werden können. Bei transportablen Geräte entfallen teure Studios und der Dienst wird flexibel, wenn bei Bedarf verschiedene Räume in die Übertragung eingebunden werden. Zwischen den Einrichtungen im Konferenzraum und der Satellitenbodenstation wird ein Fiberoptik-Übertragungssystem eingesetzt, das eine rasche Installation auch von nichtgeschultem Personal gestattet. Ein einziges Kabel verbindet die Konferenzeinheiten mit den Satelliten-Übertragungsgeräten, die in der Nähe der Satellitenbodenstation montiert sind.
Die Dokumentenübertragung erfolgt über ein spezielles eigenentwickeltes Computergrafiksystem, welches aus einem Personal Computer, einem Scanner, einem Laserdrucker und einem hochauflösenden A4-Bildschirm besteht. Diese zusätzliche Informationsübertragung erfolgt parallel zu Bild- und Tonsignalen.
Aus Gründen der Verfügbarkeit wurde während der AUSTROMIR 91-Mission der kommerzielle Nachrichtensatellit EUTELSAT-I-F2 verwendet. Die Ausleuchtzone dieses Satelliten umfaßte Mitteleuropa bis Moskau. Relativ kleine Erdefunkstellen konnten mit Offset-Antennen, deren Durchmesser 2,4 m betrugen, verwendet werden. Alle Sende- und Übertragungseinrichtungen waren direkt an der Antenne montiert, die mit einem einfachen Dreibeindrehstand zum Satelliten ausgerichtet wurde.
Ergebnisse
Am 16. September wurde erstmals eine Verbindung zwischen Graz, dem Technologiezentrum der Europäischen Weltraumorganisation ESTEC und der sowjetischen Raumstation MIR hergestellt. Trotz der notwendigen Konversion der Fernsehnormen und der digitalen Kompression des Bildes war die Übertragungsqualität ausgezeichnet. Insbesondere Verbindungen zur Raumstation über die russischen Relaissatelliten lieferten störungsfreie Bilder über Zeiträume von fast einer Stunde.
Am 4. Oktober fand die erste offizielle Videokonferenz zwischen dem ZUP, Graz und Wien statt. Während des Flugs moderierten die österreichischen Experten im ZUP täglich eine einstündige Informationssendung. Sowohl zahlreiche Journalisten als auch Privatpersonen nahmen die Gelegenheit wahr, mit der Projektleitung und den Experimentatoren, aber auch mit sowjetischen Kosmonauten und Weltraumspezialisten über den Fortgang des Projektes AUSTROMIR und allgemeine Fragen zum Thema Raumfahrt zu sprechen.
Höhepunkte im Einsatz von VIDEOMIR waren das Gespäch zwischen dem österreichischen Bundespräsidenten und Franz Viehböck nach der Ankunft der Crew auf der Raumstation, die Direktschaltung von Graz zur Raumstation im Rahmen des Kunstprojektes ARTSAT und die Videokonferenzen zwischen ZUP, ESTEC und TELECOM-91. Dabei fanden Gespräche zwischen prominenten Vertretern der Raumfahrt statt: zum Beispiel ein „Insider-Gespräch“ zwischen NASA-Astronauten Russel Schweickart und seinem sowjetischen Kollegen Alexandr A. Volkov. Die TELECOM-91 war ein ausgezeichneter Rahmen für die Vorstellung des Videokonferenzsystems, der sowohl einem österreichischen High-Tech Produkt als auch dem High-Tech Projekt AUSTROMIR zu Publicity verhalf.
Insgesamt wurden während der Testphase 12 Stunden und während des Flugs 28 Stunden Satellitenzeit in Anspruch genommen, die dankenswerterweise von der Europäischen Weltraumorganisation ESA zur Verfügung gestellt wurde. Das Videokonferenzsystem funktionierte ausnahmslos fehlerfrei.
Praktische Anwendung
Als Folge des erfolgreichen Einsatzes planen sowohl russische Stellen als auch die Europäische Weltraumagentur ESA die Anschaffung des österreichischen Systems. Die russischen Partner wollen VIDEOMIR im Projekt Snamja einsetzen, das wiederum Teil des Projektes Novyj-Svjet ist. Im Rahmen von Novyj-Svjet will man von Progress aus Sonnensegel entfalten und über Spiegel Punkte der Nachtseite der Erde beleuchten. Weitere Aufträge konnten bereits erfolgreich abgewickelt werden: Auch bei der MIR-92 Mission und bei den ESA-Missionen EUROMIR-94 und -95 konferierten die Experten mit Hilfe von VIDEOMIR.
Technische Daten
In Kaliningrad (Flugleitzentrum ZUP) und Graz wurden je eine Satellitenbodenstation nach dem EUTELSAT Standard-3 mit einem Antennendurchmesser von 2,4 m errichtet. Der Gütefaktor des Empfängers von 25 dB/K und die maximale Sendeleistung von 75 W (entsprechend einem EIRP von 65,9 dBW) ermöglichten die sichere Übertragung digitaler Daten mit einer Rate von 2 Mbit/s.
Im Pressezentrum Wien (im Technischen Museum) wurde die transportable Erdfunkstelle der Österreichischen Post mit einem Antennendurchmesser von 4,5 m eingesetzt.
Im technischen Zentrum der Europäischen Weltraumorganisation ESA, bei der ESTEC in Noordwijk (Holland) und am Ausstellungsgelände der TELECOM-91 in Genf kamen die leistungsfähigen TDS-4-Stationen der ESA mit 4,5 m Antennendurchmesser zum Einsatz.
Jeweils 3 Stationen waren in einer Videokonferenz-Sitzung aktiv: in der Konfiguration 1 waren dies das Flugleitzentrum (ZUP) – Graz – Wien, in der Konfiguration 2 das Flugleitzentrum (ZUP) – ESTEC – Genf. Damit wurden stets drei 2 MBit/s-Kanäle beansprucht.
Für das Raumsegment wurde der Nachrichtensatellit EUTELSAT-I-F2 ausgewählt. Ursprünglich war die 20/30 GHz-Nutzlast des Satelliten OLYMPUS der ESA für die Übertragung vorgesehen. Durch einen vorübergehenden Ausfall von OLYMPUS mußte auf KU-Band (12/14 GHz) und das EUTELSAT-System umgestellt werden. Nachteilig bei diesem Satelliten ist die Inklination der Bahn, die eine Abweichung von ± 0,1° in Ost-West-Richtung und ± 0,8° in Nord-Süd-Richtung von der nominellen geostationären Position von 2° Ost über einen Tag bewirkt.
An allen Standorten wurden die DICE-Videokonferenzeinheiten installiert. Sie enthielten je 3 Monitore, eine Fernsehkamera, die Audioübertragungseinrichtungen sowie Videocodecs. Letztere wandelte die analogen TV-Signale in digitale um und komprimierte die Information im Verhältnis 50:1, wodurch qualitativ sehr gute Bilder mit einer Datenrate von nur 2 MBit/s übertragen werden konnten. Ein spezielles Glasfasersystem verband die Konferenzeinheit mit den Modems der Satellitenbodenstation. Zusätzlich wurde die Grafikeinheit eingesetzt, die einen Scanner, einen Laserdrucker, einen Grafikbildschirm und den Steuerrechner enthielt. Damit war die Dokumentenübermittlung während der Konferenz über einen 64 kBit/s-Datenkanal des Videokodecs möglich.
Im Flugleitzentrum wurden zusätzliche Einrichtungen verwendet. Da eine Verbindung zur Raumstation notwendig war, wurden PAL/SECAM-Transcoder zur Anpassung der unterschiedlichen Fernsehnormen installiert. Das Videokonferenzsystem wurde über Video- und Audiomischpulte mit den Übertragungseinrichtungen des Flugleitzentrums verbunden. Durchschaltungen zur Raumstation erfolgten über sowjetische Relaissatelliten oder über Telemetriestationen am Boden. BETACAM-Recorder dienten zur Aufzeichnung der Bilder aus der Raumstation und zur späteren Einspielung während der Videokonferenz.
Experimentatoren
o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. DDr. Willibald Riedler (Institutsvorstand)
Dipl.-Ing. Dr. Otto Koudelka (Projektverantwortlicher)
Dipl.-Ing. Kurt Kerschat
Dipl.-Ing. Christian Netzberger
Ing. Reinhard Stieninger
Ing. Manfred Zierler
alle: Institut für Angewandte Systemtechnik, Forschungsgesellschaft Joanneum Ges.m.b.H., Graz