Experiment MIGMAS-A


Durch den Kontakt mit der Strahlung im Weltraum kommt es bei Raumfahrzeugen zu Korrosion, d. h. zu Veränderungen der physikalischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften von Struktur-, Abschirm- und Isolationsmaterialien. Raumflugkörper im erdnahen Weltraum werden vor allem vom atomaren Sauerstoff der obersten Atmosphäre angegriffen, wobei besonders organische Materialien betroffen sind. Bei bemannten Raumstationen spielen auch die von der Station selbst abgegebenen organischen Ausgasungen eine Rolle. Unter Einwirkung der externen Strahlung bilden sich kontaminierende Substanzen auf der Oberfläche der Raumstation.

Das Projekt war als technologische Entwicklungsaufgabe definiert. Ausschlaggebend für die Wahl dieses Experiments war die absolute Neuheit einer solchen Aufgabenstellung, da ähnliche Geräte für den Gebrauch auf der Erde ein Vielfaches an Größe und Gewicht ausmachen.

Forschungsziel

Eine der Hauptaufgaben einer Materialanalysestation ist die chemische Diagnose der durch die Weltraumkorrosion hervorgerufenen Materialveränderungen. Andere Aufgaben bestehen in der chemische Analyse von Materialien die an Bord der Weltraumstation erzeugt werden – z. B. Kristalle und Metallschmelzen – sowie die chemische Analyse und Isotopenanalyse von Mikrometeoriten. Diese Aufgaben könnten nur unter größten Schwierigkeiten auf der Erde durchgeführt werden. Meist ist der Materialrücktransport zur Erde gar nicht möglich und selbst wenn dies der Fall ist, besteht Kontaminationsgefahr („Verschmutzung“ der Oberfläche durch das Verpackungsmaterial) für die Proben. Andererseits sind die Korrosionseffekte im Labor nicht vollständig simulierbar.

Im Rahmen der Mission AUSTROMIR 91 wurde der erste Teil dieses Projekts, das sich mit dem Aufbau einer Materialanalysestation für Weltraumanwendung beschäftigt, durchgeführt. Es ist geplant, die Ergänzungsteile weiter zu entwickeln und zu bauen.

Funktionsweise, Meßprinzip

Die chemischen Analysen werden nach dem Prinzip der Sekundärionen-Massenspektroskopie durchgeführt. Ein fokussierter Ionenstrahl („Primärstrahl“) trifft die Probenoberfläche und schlägt aus ihr einzelne Atome heraus – ein Vorgang der als Ionenstrahlzerstäubung oder Sputtering bezeichnet wird. Ein Teil dieser Atome ist elektrisch geladen („Sekundärionen“) und ihr Molekulargewicht kann somit direkt in einem Massenspektrometer bestimmt werden. Diese Molekulargewichtsbestimmung liefert qualitative und quantitative Information über die chemische und isotopische Zusammensetung des vom Ionenstrahl getroffenen Probenbereiches. Durch Ablenken (Rastern) des fokussierten Primärstrahles über die Probe kann ein zweidimensionales Bild der Verteilung eines bestimmten Elements an der Probenoberfläche erzeugt werden. Durch Ausnutzung des Zerstäubungseffekts durch den die Probe kontinuierlich abgetragen wird können Tiefenprofile von Elementen und sogar die räumlich dreidimensionale Verteilung von Elementen in oberflächennahen Gebieten von Feststoffproben analysiert werden.

Das Kernstück des Experimentaufbaus für MIGMAS-A besteht aus einem einzelnen Ionenemitter der im wesentlichen den in der Apparatur LOGION verwendeten entspricht. Die Ionen werden durch eine Extraktorblende von der Spitze gesaugt und durch eine geerdete weitere Blende auf die endgültige Strahlenergie beschleunigt. Eine zusätzliche Blende begrenzt die Strahldivergenz und wirkt gleichzeitig als Strahlstrommonitor. Das ionenoptische System umfaßt weiters eine asymmetrische elektrostatische Einzellinse ein elektrostatisches X/Y-Justiersystem und ein X/Y-Rastersystem aus hintereinander angeordneten einseitig geerdeten Ablenkplattenpaaren. Im Raum zwischen der zu untersuchenden Probe und der letzten Rasterelektrode befindet sich eine Extraktionsoptik für die Sekundärionen.

Mit dieser Gerätekonfiguration konnte vorläufig nur eine Probe abgetastet werden. Die Probenanalyse und die Möglichkeit die Proben zu wechseln sind späteren Ausbaustufen vorbehalten.

Mitverwendete Apparaturen der österreichischen Nutzlast

DATAMIR

Ergebnisse

Das Experiment hat gezeigt, daß ein so komplexes Präzisionsinstrument wie ein Ionenmikroskop unbeschädigt in die Umlaufbahn gebracht werden kann. Die Stabilität, die der neuentwickelte miniaturisierte Flüssigmetall-Ionenemitter auch unter den erschwerten Betriebsbedingungen an Bord der Raumstation bewiesen hat, rechtfertigt seinen Einsatz in einem mikroanalytischen Gerät. Die auf MIR gemessenen Geräteparameter und Leistungsdaten sind im wesentlichen mit den am Boden gemessenen identisch.

Franz Viehböck mit der Apparatur MIGMAS-A. Der Ausbau zur kompletten Materialanalysestation (MIGMAS-B und -C) war für ein Nachfolgeprojekt geplant, wurde aber nie mehr eingesetzt. Grafik: BMBWK, Wien

Bei der Bedienung des Gerätes an Bord traten keinerlei Schwierigkeiten auf. Ein Kosmonaut kann somit auch die komplexeren Aufgaben, die sich nach der Komplettierung der Apparatur zum lonenmikrosonden-Massenspektrometer ergeben werden, problemlos erfüllen kann. Das Gerät MIGMAS-A wurde auch nach der Beendigung der Mission AUSTROMIR 91 zwischen Jänner und Juli 1992 von den an Bord befindlichen Kosmonauten noch fünfmal eingeschaltet. Damit wollte man die Langzeitstabilität unter den Bedingungen der Lagerung auf MIR feststellen und die unter Mikrogrovität einzuhaltenden optimalen Betriebsparameter festlegen. Diese Leistungen wurden von den russischen Partnern im Projekt AUSTROMIR kostenlos und als Vorleistung auf ein geplantes Folgeprojekt durchgeführt.

Sowohl die österreichischen als auch die russischen Experimentatoren hoffen auf eine Fortsetzung des Projektes, vor allem im Hinblick auf die ausgezeichneten Ergebnisse der Apparatur MIGMAS-A. Das Gerät war bis zum Absturz der MIR auf der Raumstation und funktionierte einwandfrei.

Praktische Anwendung
Anwendungsgebiete
  • Weltraummaterialforschung auf dem Gebiet der Analyse von im Weltraum exponierten oder im Weltraum gewonnenen Materialien
  • Mikroelektronik, Materialforschung, Geologie
  • Ökologie
Anwendungsziele
  • Erhöhung der Sicherheit bemannter und unbemannter Weltraumflugkörper
  • Direkte automatische Analyse von Materialien und Einzelelementen mittels eines zu entwickelnden Miniaturmassenspektrometers mit Ionensonde
  • Monitoring der Umwelt sowie des Zustandes von Materialien, die sich an der Oberfläche oder im Inneren von Weltraumflugkörpern befinden
  • Gemeinsame kommerzielle Nutzung der Apparatur MIGMAS (2. Phase)
  • Materialanalyse mittels eines miniaturisierten, tragbaren Gerätes unter Nichtlaborbedingungen (Feldbedingungen, Fließbänder, …)
  • Umweltverschmutzungsmonitoring
An der Nutzung der Experimentergebnisse direkt interessierte Institutionen
  • Österreichisches Forschungszentrum Seibersdorf
  • Max-Planck-Institut für Atomphysik, Heidelberg, Deutschland
  • Firma von Hoerner & Sulger, Schwetzingen, Deutschland
  • Institut für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung der Technischen Universität Graz
  • Europäische, darunter russische Weltraumorganisationen
Technische Daten

Die Apparatur MIGMAS-A bestand aus folgenden Einheiten

Elektronikbox mit Kabeln
  • Ionenkanone
  • Ionenoptische Säule bestehend aus
    Strahlablenksystem
    Korrektursystem
    Fokusiersystem
  • Vakuumkammer
  • Ionenpumpe zur Aufrechterhaltung des Vakuums
  • Spannungsversorgungseinheit
  • Hochspannungsversorgungseinheit
  • Elektronikblock bestehend aus
    Ablaufsteuerung
    Ansteuerung des ionenoptischen Systems
    Datenerfassung
    Datenspeicherung (Memorycards)
    Interface zum System DATAMIR
  • Bildschirm
  • Kabelsatz
  • Rücktransportbox für Memorycards
  • Schutzabdeckung für LCD-Bildschirm
  • Sechskantschlüssel für die Schutzabdeckung
  • Reservesicherungen
Masse: 35,0 kg
Abmessungen: 628 mm x 260 mm x 580 mm
Leistungsaufnahme: 100 W
Die Apparatur MIGMAS-A. Foto: BMBWK, Wien
Experimentatoren

Teil I:
o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. DDr. Willibald Riedler (Projektverantwortlicher)
Dipl.-Ing. Robert Finsterbusch (Projektleiter)
Dipl.-Ing. Franz Pürstl
Dipl.-Ing. Raimund Pammer
Wolfgang Schütz
alle: Institut für Nachrichtentechnik und Wellenausbreitung, Technische Universität Graz

Teil II:
Univ.-Prof. Dr. Friedrich Rüdenauer (Projektverantwortlicher)
Dipl.-Ing. Dr. Peter Beck
Dr. Walter Steiger
Dipl.-Ing. M. Kammerhofer
alle: Österreichisches Forschungszentrum Seibersdorf Ges.m.b.H., Seibersdorf